Stellungnahme der Nachbarschaftsakademie zur

Ästhetischen Gentrifizierung und „Mind Grabbing“

Werbefassade (Die Werbeinformationen wurden im Foto retouchiert)

Werbefassade (Die Werbeinformationen wurden im Foto retouchiert)

Die Graffiti-Agentur XI-Design hat Anfang November ein 1250 Quadratmeter großes  Werbebild an der Brandmauer hinter dem Prinzessinnengarten aufgemalt. Diese Fassadenwerbung ist ohne Genehmigung entstanden. Sie wurde angebracht, obwohl der Bezirk einen ersten Antrag der Agentur abgelehnt hatte und eine endgültige Entscheidung noch aussteht. Nicht nur der Bezirk wurde übergangen, auch war der Prinzessinnengarten im Vorfeld nicht informiert worden. Auf die bereits bestehende Streetart an der Brandwand wurde ebenfalls keine Rücksicht genommen.

 

Ein ‚düsterer Technikphallus ragt aus der grünen Hölle‘

Die Folge dieser Aktion: der Garten und der gesamten Moritzplatz werden ungefragt von einer überdimensionalen, nachts beleuchteten Werbebotschaft überschattet. Diese gibt sich den irreführenden Anschein, alternativ und hip zu sein. Die Unterschiede zwischen Werbung, Kunst und gemeinschaftlichem Nachbarschaftsprojekt werden verwischt und damit bewußt der Eindruck einer Komplizenschaft geweckt. So auch die Wahrnehmung der Werbekampagne durch Matze Jung vom Graffitiarchiv:

„Besonders perfide ist, daß die ‚grüne Hölle‘ des Prinzessinnengartens perfekt mit dem Werbemotiv harmoniert und so der düstere Technikphallus scheinbar mitten aus dem Gemeinschaftsgarten erwächst“.

 

Urbane Gärten: nicht-kommerzielle Freiräume

Das von 130 Initiativen unterzeichneten Urban Gardening Manifest macht dagegen deutlich, daß Garteninitiativen nach Alternativen und nach Freiräumen suchen:

„Wir setzen uns für eine lebenswerte Stadt und eine zukunftsorientierte Urbanität ein. Täglich erfahren wir, wie wichtig ein frei zugänglicher öffentlicher Raum ohne Konsumzwang für eine demokratische und plurale Stadtgesellschaft ist. Urbane Gemeinschaftsgärten sind Gemeingüter, die der zunehmenden Privatisierung und Kommerzialisierung des öffentlichen Raums entgegenwirken.

commons

Bilder: Mural „The Ground We Are Fighting For“ von Daniel Eizirik. Vom Kollektiv „L.A. Müller“ projizierte Antworten der NachbarInnen am Moritzplatz zu Ausverkauf von Flächen, Bürgerbeteiligung und Gentrifizierung im Rahmen der Kampagne „Wachsen lassen!“ zum Erhalt des Prinzessinnengartens (Herbst 2012)

 

Gemeingüter statt kommerziellen Aneignung unserer Einbildungskraft („mind grabbing“)

Niemand sollte das Recht haben, den öffentliche Raum oder unsere Gedanken und unsere Vorstellungskraft einfach ungefragt durch Werbebotschaften zu besetzen. Der öffentliche Raum gehört uns allen. Er ist ein Gemeingut, d.h. er sollte ohne Zugangsbeschränkungen allen offen stehen und Ort demokratische Aushandlungsprozesse sein. Beispiele dafür gaben und geben in unserer unmittelbaren Nachbarschaft Initiativen wie Kotti&Co, Stadt von Unten, Bizim Kiez oder das Refugee-Camp auf dem Oranienplatz. Werbefreie Straßen, Plätze und Wände sind Teil eines Rechts auf Stadt. Sie geben Raum für Stimmen, die ansonsten überhört würden. Zugang darf keine Frage des Geldes sein.

 

Wandbild „Av.23 de Maio“ in São Paulo, von Os Gêmeos, Nunca, Nina Pandolfo, Finok und Zefix

Wandbild „Av.23 de Maio“ in São Paulo, von Os Gêmeos, Nunca, Nina Pandolfo, Finok und Zefix

 

Ausblick: Die Vision einer werbefreien Stadt

Das es auch einen anderen Weg als die zunehmende Kommerzialisierung geben kann, hat bereits vor 10 Jahren die 20-Millionen-Einwohner Stadt São Paulo vorgemacht: Die „visuelle Verschmutzung“ des öffentlichen Raumes durch Werbung wurde hier verboten und 15.000 Plakatwände aus dem Stadtraum entfernt. Damit wurde die Stadt hinter den Werbeplakaten wieder sichtbar und São Paulo ist zu einem Eldorado von Streetart und Graffiti geworden. Auch das Ausdruck einer freien Stadtgesellschaft. Wer will uns erzählen, dass sei nicht auch in Berlin möglich.